Arbeitsschwerpunkte 2015-2017
Geschlechtergerechte Perspektiven nachhaltiger Entwicklung
2015 ist ein wichtiges Jahr für Gendergerechtigkeit & Entwicklungspolitik: es ist das Zieljahr für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele, die zur Jahrtausendwende ausgerufen worden waren, um eine internationale Anstrengung zur Verringerung der Armut zu unternehmen.
Als Nachfolgeziele zu den MDGs sollen auf der UN-Generalversammlung im Herbst 2015 neue internationale Entwicklungsziele verabschiedet werden, die zugleich Nachhaltigkeitsziele sein sollen (Post 2015/ Sustainable Development Goals).
Dafür laufen derzeit intensive Verhandlungen, zu denen sich WIDE positioniert und auf verschiedenen Ebenen (national, europäisch, international) eingebracht hat, um die spezifischen Anliegen von Frauen sichtbar zu machen und dazu beizutragen die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben.– Besonders sollen der Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung, zu Land und Ressourcen, Wasser- und Sanitärversorgung, Arbeitsrechte, die faire Verteilung von unbezahlter (Care-)Arbeit, soziale Sicherheit und Gesundheitsversorgung, sexuelle und reproduktive Rechte, politische Teilhabe und die Bekämpfung aller Formen von Gewalt in diese in die neue globale bzw. entwicklungspolitische Agenda einfließen.
Die neuen Entwicklungsziele werden 2015 im Rahmen des „Europäischen Jahrs der Entwicklung“ thematisiert, und es sollen sowohl der Beitrag der europäischen Entwicklungspolitik für eine globale nachhaltige Entwicklung sichtbar gemacht als auch Widersprüche in der europäischen Politik thematisiert werden. Die Verankerung der Entwicklung von globalen Nachhaltigkeitszielen in der Rio+20-Konferenz (2012) bietet die Chance, dass der Entwicklungsbegriff aus ökologischer und menschenrechtlicher Sicht hinterfragt und neu definiert wird, und das Motto „global denken, lokal handeln“ durch die Notwendigkeit, Nachhaltigkeitsziele auch national zu verankern, neue Dynamik erhält.
Problemstellungen
Frauenpolitisch steht das Jahr 2015 im Zeichen von „20 Jahre Weltfrauenkonferenz von Peking“. Der vor 20 Jahren verabschiedete Maßnahmenkatalog (Aktionsplattform von Peking) hat in vielen Ländern einen großen Reformschub zugunsten der rechtlichen Gleichstellung von Frauen gebracht, was sich z.B. im Bereich des Familienrechts, der politischen Gleichstellung oder im Bereich des Kampfs gegen Gewalt an Frauen zeigt. Trotz vieler Fortschritte mangelt es jedoch vielerorts immer noch am Zugang zu Rechten und es bestehen diskriminierende Praktiken fort.
Dass Geschlechtergerechtigkeit noch immer umkämpft ist, zeigen auch die Verhandlungen zu den Abschlusserklärungen der jährlich stattfindenden UN-Frauenstatuskommission und der auf Angst vor Rückschritt nach einer Ankündigung Ban Ki-Moons wieder abgesagten 5. Weltfrauenkonferenz.
Die ökonomische Globalisierung bringt zudem eine Erosion der Lebensgrundlagen bestimmter Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern mit sich, mit spezifischen Auswirkungen auf Frauen und Männer (z.B. im Kontext von Migration). Umweltprobleme wie Klimawandel, Wasserverschmutzung, Bodenerosion etc. tragen durch nicht-nachhaltige Formen des Wirtschaftens und der anhaltenden Nachfrage nach fossiler Energie, sowie mineralischen Rohstoffen für die Industrie zur Verdrängung von Klein- und Subsistenzbäuer_innen in Entwicklungsländern von traditionell genutzten Flächen bei. Soziale Gegensätze wachsen global an, während der Handlungsspielraum von Regierungen in Entwicklungsländern aufgrund von Verpflichtungen, die sich aus multi- und bilateralen Handels- und Investitionsabkommen ergeben, vielfach stark eingeschränkt ist.
Ökonomische Krisen erhöhen das Risiko sozialer Spannungen und repressiver politischer Antworten. Politische Radikalisierungen stehen ebenfalls oft in Zusammenhang mit ökonomischen Krisen, was in einigen Ländern auch zu Rückschritten in Bezug auf Frauenrechte geführt hat.
Dass das Empowerment (Stärkung) von Frauen eine Schlüsselrolle bei der Erreichung von Entwicklungszielen spielt und dringend notwendig ist, ist vielfach belegt. Dies bestätigt auch der Weltentwicklungsbericht 2012 „Gender Equality and Development“ der Weltbank mit seinen Forderungen.
In Österreich wurde im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in den letzten Jahren in Bezug auf Gender viel Wissen aufgebaut, jedoch mangelt es in verschiedenen Bereichen an der Umsetzung, wie die Evaluierung der ADA-Gender-Policy 2012 aufgezeigt hat. Es besteht die Gefahr, dass im Kontext von Kürzungen Geschlechtergerechtigkeit als sekundäres Ziel betrachtet wird, was einen Backlash für geschlechtergerechte Entwicklungszusammenarbeit, und somit für die Bekämpfung globaler Armut, bedeuten würde.
Ansätze von WIDE
WIDE bringt seit nunmehr gut 20 Jahren Expertise zu Geschlechtergerechtigkeit in die entwicklungs- und frauenpolitischen Debatten auf nationaler als auch internationaler Ebene ein (EU- und UN-Ebene). So hat WIDE die Umsetzung der Peking Plattform for Action (auf der Weltfrauenkonferenz 1995 beschlossenes Aktionsprogramm) im Bereich Entwicklungspolitik verfolgt und sich laufend eingebracht (Politikdialog mit Finanz-, Frauen- und Außenministerium, CSW).
2015 soll die Bedeutung der Errungenschaften von 1995 in Erinnerung gerufen und Forderungen an die neuen globalen Entwicklungen angepasst werden, um so einen Beitrag zu einer geschlechtergerechten nachhaltigen Entwicklung zu leisten. So wird bereits erarbeitetes Wissen mit aktuellen Herausforderungen verbunden, die Weitergabe von Wissen an jüngere Generationen unterstützt und zum Empowerment von Frauen beigetragen.
Um die komplexen wirtschaftlichen Zusammenhänge zu vermitteln und die Zielgruppen zu stärken, arbeitet WIDE vielfach mit dem „Economic Literacy“ Ansatz – Erwachsenenbildung die ganz speziell die regionale, nationale, EU-weite und globale Wirtschaft thematisiert. Dieser Empowerment-Ansatz ist im Kontext der internationalen Frauenbewegung entwickelt worden und geht von den Erfahrungen der Teilnehmer_innen aus, stellt diese Erfahrungen in einen gesellschaftlichen Zusammenhang und bietet einen theoretischen Rahmen an, die die strukturellen Ursachen der wirtschaftlichen und sozialen Probleme transparent macht und zu Lösungen führt. WIDE kann dabei auf langjährige Erfahrungen und Kooperationen sowohl in Österreich als auch auf europäischer Ebene zurückgreifen (Handbuch Feministische Wirtschaftsalphabetisierung, Grundtvig-Projekt. Economic Literacy across Europe mit 4 europäischen Partnerinnen).
Diese Komplexität erfordert ebenso eine kontinuierliche Verfolgung politischer Prozesse und eine ständige Vernetzung mit Entscheidungsträger_innen, damit Entwicklungspolitik geschlechtergerecht und menschenrechtlich kohärent beeinflusst werden kann.
Die spezifische Aufgabe von WIDE ist es, globale soziale Ungleichheiten aus der „Geschlechterbrille“ zu analysieren und entsprechende Forderungen zu entwickeln und zu vertreten. Laut Mitglieder-Befragung nutzen die WIDE-Mitgliedsorganisationen diese Gender-Expertise, die auf vielfältige Weise generiert wird, bei der Umsetzung ihrer Bildungs- und Projektarbeit. Diese Gender-Expertise muss jedoch entsprechend dem jeweiligen Kontext immer wieder neu erarbeitet werden.