Wir werden nicht leise sein!

Veröffentlicht am: 11. März 2019|Bericht, Publikation|Themen: |

NGO-Auftakt zur CSW 2019 in New York

Bericht von Claudia Thallmayer (WIDE)

(10.3.2019) Mit einem Trommelwirbel und dem Refrain „We won´t be quiet – we will work it out“ der Trommlerinnengruppe „Paprika“ begann der NGO-„Konsultationstag“ am Vortag vor dem offiziellen Start der 63. Tagung der UN-Frauenstatuskommission.

Seit der letzten Weltfrauenkonferenz 1995 – einem Mega-Event mit breitester Regierungs- und noch breiterer NGO-Beteiligung – haben sich die jährlichen CSW-Tagungen zu einem wichtigen Sammel- und Kristallisationspunkt von Frauenbewegungen, Netzwerken und sozialen Initiativen entwickelt. Neben den Delegationen der UN-Mitgliedsstaaten sind heuer 4.000 NGOs auf der CSW vertreten.

CSW63 Banner ENZiel der Konferenz ist es, ein aussagekräftiges Abschlussdokument zum Thema „Soziale Sicherheit, öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur für die Gleichstellung von Mädchen und Frauen“ zuwege zu bringen. Die Zivilgesellschaft spielt eine wichtige Rolle darin, im Gespräch mit Regierungsvertreterinnen und in Parallelveranstaltungen zur offiziellen Konferenz auf wenig beleuchtete und strukturelle Problematiken aufmerksam zu machen und neue (oftmals praktische und niederschwellige, aber auch globale) Ansätze bekannt zu machen.

Die Teilnahme der Direktorin von UN-WOMEN, Phumzile Mlambo-Ngcuka, am NGO-Tag zeigt, wie wichtig UN-WOMEN die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft ist. Mlambo-Ngcuka betonte in ihrem Statement, wie wichtig es sei, die Belastung von Frauen durch unbezahlte Haus- und Sorgearbeit in den Blick zu nehmen. Es sei ein wichtiger Schritt gewesen, dieses Thema auch in den SDGs zu verankern. Denn öffentliche Infrastruktur zur Entlastung von Frauen fehlt in den meisten Ländern. Trotz des aktuell schwierigen politischen Kontexts brauche es den Dialog mit PolitikerInnen, um klarzumachen, welche öffentliche Infrastruktur Frauen benötigen, und wie der Unterfinanzierung öffentlicher Dienstleistungen entgegengewirkt werden kann.

CSW63 Banner EN Auch die Botschafterin Irlands, Geraldine Byrne Nason, die heuer den Vorsitz der CSW führt, war anwesend und betonte die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Mobilisierung. Zum Konferenzthema strich sie ebenfalls die Notwendigkeit der Finanzierung öffentlicher Sozialsysteme und Infrastruktur heraus. Sozialsysteme kosten sehr viel Geld, aber sie dienen der ganzen Gesellschaft und tragen wesentlich zur Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen bei. Sie wies darauf hin, dass soziale Leistungen gut durchdacht sein müssen, damit sie nicht ungewollte negative Auswirkungen haben; zum Beispiel Mutterschaftsleistungen, die von Arbeitgebern als Belastung betrachtet werden, oder Frauen die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erschweren.

Im Verhandlungsprozess um eine Abschlusserklärung zu sozialer Sicherheit sei es wichtig, sich nicht in fruchtlose Diskussionen zu besonders umstrittenen Themen verwickeln zu lassen (wie Migration und sexuelle und reproduktive Rechte), sondern die zentrale Bedeutung von sozialer Sicherheit für Gleichstellung nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist zwar die Perspektive einer Verhandlungsleiterin, heikle Themen ausklammern zu wollen, aber sicher wäre es ein schlechtes Zeichen, sollten sich die Staaten nicht auf eine Erklärung zu diesem so essenziellen Aufgabenbereich der öffentlichen Hand einigen können.

Der Frage der Finanzierung und der Gestaltung von Systemen der sozialen Sicherheit widmeten sich nach diesem Eingangsdialog von UN- und Regierungsdelegierten in einem Panel-Gespräch Vertreterinnen von Oxfam, FEMNET und DAWN sowie ein ILO-Vertreter.

CSW63 Banner EN In Bezug auf die Frage der Definition, was mit sozialer Sicherheit gemeint ist, wies Vinicius Pinheiro (ILO) darauf hin, dass es dazu bereits mit der Empfehlung Nr. 202 aus 2012 eine internationale Verständigung darüber gibt, was damit gemeint ist, sogenannte „agreed language“ (akkordierte Formulierungen), und zwar bezogen auf den ganzen Lebenszyklus eines Menschen, von der Kindheit über Mutterschaft/Elternschaft, Behinderung, Arbeitswelt, Älterwerden/Pensionen.

Es gäbe einen breiten Konsens, dass es soziale Sicherheit braucht, aber es stehen unterschiedliche Konzepte hinter Begriffen wie „social protection floors“ und „social safetey nets“. Während mit ersterem („social protection floors“ – oft als „Sozialschutz“ übersetzt) Systeme sozialer Sicherheit gemeint sind, die allen Bevölkerungsgruppen zugutekommen, zielt das Konzept von „sozialen Sicherheitsnetzen“ auf besonders benachteiligte Gruppen, ist damit nicht universell und weniger menschenrechtsbasiert, sondern ein Stück weit karitativ.

Wichtig ist die Nachhaltigkeit der Finanzierung von Sozialsystemen, denn die Finanzierung muss längerfristig aufrechterhalten werden können, alles andere wären es leere Versprechungen. Es gibt Beispiele, dass auch ärmere Länder vieles leisten können; gute Beispiele finden sich in Indien und China.

CSW63 Banner EN Oxfam-Vertreterin Nadia Daar wies auf den Skandal der wachsenden Ungleichheit hin. Laut Oxfam-Recherchen beträgt das Vermögen der reichsten 26 Menschen soviel wie das Vermögen der ärmeren Hälfte der Menschheit. Uns wird erzählt, dass Leistung dahintersteckt, wenn Menschen superreich werden, aber oft handelt es sich um ererbtes Vermögen oder um die Ausbeutung von Menschen. Wie kann es sein, dass manche Arbeiterinnen in der Textilindustrie Binden tragen müssen, weil ihnen keine Toilettenpausen gewährt werden? Wie kann es sein, dass für öffentliche Gesundheitssysteme kein Geld da ist, während ungeheure Geldmengen aus Entwicklungsländern in Steuerparadiese geschleust werden, meist nicht einmal illegal, sondern aufgrund von Steuerschlupflöchern, die multinationale Konzerne finden und ausnutzen können?

Crystal Simeoni von FEMNET, einem afrikanischen Frauennetzwerk, in dem rund 600 NGOs vertreten sind und das vor allem zu makroökonomischen Fragen arbeitet, wies auf die Problematik der viel-propagierten Public-Private-Partnerships hin. Beispiel Lesotho: Hier wurde unter Beratung der IFC/Weltbank und unter Beteiligung privater Unternehmen ein Spital gebaut, das die Hälfte des Gesundheitsbudgets verschlang, aber doch nur einem Bruchteil der Bevölkerung zur Verfügung steht und das zudem – laut einer Vertragsklausel – ab einer bestimmten Zahl von NutzerInnen Gebühren verlangen darf, was zulasten armer Bevölkerungsgruppen geht. Beispiel Kenia: einem Vater wurde in einem Spital die Herausgabe seines neugeborenen Kindes verweigert, bevor er nicht die Kosten des Spitalsaufenthalts seiner Frau für die Geburt von ca. 600 Dollar bezahlen würde.

CSW63 Banner EN Aus Lateinamerika berichtete Corina Rodríguez Enríquez, dass in den letzten 10, 15 Jahren (vor der jüngsten autoritären Wende) die Akzeptanz für öffentliche Ausgaben und soziale Leistungen deutlich gestiegen ist. Sehr erfolgreich seien etwa an bestimmte Bedingungen (den Schulbesuch der Kinder) geknüpfte „Cash transfers“ (Geldleistungen) gewesen, die speziell an arme Mütter gegangen sind. Damit wurden Frauen erstmals direkt angesprochen und in ihrer finanziellen Autonomie unterstützt. Die Programme waren überaus relevant, um extreme Armut zu reduzieren. Die Leistungen gingen an 25 Millionen Haushalte, und 200 Millionen Menschen profitierten davon. Es gibt allerdings eine gewisse Kontroverse um die Frage der Konditionalität, und die Forderung, künftig eine universelle Absicherung einzuführen, etwa auch für ältere Menschen durch das Pensionssystem.

Soziale Sicherheit ist eine öffentliche Aufgabe, darin waren sich die DiskutantInnen einig, und die Sicherung der Finanzierung ist ganz wesentlich. Simeoni trat dafür ein, dass auch international Steuern eingehoben werden sollten und propagierte die Idee einer globalen Steuerbehörde, die idealerweise bei der UN angesiedelt sein sollte.

Der Nachmittag war der Präsentation von zivilgesellschaftlichen Initiativen gewidmet, die einen Beitrag zur sozialen Sicherheit und dem Empowerment von Frauen leisten, angefangen vom Kampf für die Rechte von Witwen in Namibia, Kenia und Malawi (300 Millionen Frauen weltweit sind Witwen und erleben massive Diskriminierung), dem Kampf gegen das Kastensystem und die Diskriminierung von Dalit-Frauen in Nepal, für gesunde Ernährung durch von Frauen geführte Volksküchen in Peru, für sichere Transportmittel für Frauen in Ägypten (durch UN-Habitat) bis hin zur sozialen Mobilisierung gegen Kinderheirat mittels Mini-TV-Serien in Bangladesch.

Ein gelungener Einstieg in das Konferenzthema, organisiert vom NGO-CSW-Komitee in New York.

Mehr zur CSW 2019: http://www.unwomen.org/en/csw/csw63-2019

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