Von realistischen Gutmenschen und naiven Realpolitikern

Veröffentlicht am: 24. Juli 2018|Meinung, Publikation|Themen: , |

Kommentar von Traude Novy

(24.7.2018) Es ist circa 15 Jahre her, dass die europäischen Entwicklungsorganisationen auf die ungerechten Strukturen der Europäischen Partnerschaftsabkommen (EPAs) mit den Ländern des globalen Südens, vor allem mit Afrika hinwiesen und dagegen ankämpften.

Die damalige Generalsekretärin des österreichischen Dachverbandes der Entwicklungsorganisationen (AGEZ) Elfriede Schachner bezeichnete die Freihandelsabkommen zwischen der EU und den sogenannten Partnerländern mit einem schrägen Fußballfeld, auf dem die EU bergab spielt und die Länder des globalen Südens bergauf laufen müssen. 

Handelsungleichgewichte – weltfremde Bedenken?

Unsere Bedenken wurden damals als völlig weltfremd zur Seite gewischt – heute 15 Jahre später und angesichts der vielen emigrierenden Menschen aus diesen Ländern erkennen nun auch die Verantwortlichen in der EU, dass die Handels- und Investitionsabkommen mit diesen Ländern nicht der Weisheit letzter Schluss sind und  überlegen, diese Handelsbeziehungen gerechter zu organisieren. 15 verlorene Jahre, in denen die Beziehung zu Afrika hätte anders organisiert werden können, um den Menschen dort Überlebensperspektiven zu eröffnen. Wer war also damals realistisch und wer war aus egoistischen Motiven naiv?

Kritik an US-Einmischung im Nahen Osten: naiv?

Weltweit haben sich engagierte Bürgerinnen und Bürger gegen die von den USA angezettelten Kriege im Mittleren Osten engagiert. Die dort herrschenden Despoten wurden auch von ihnen als das gesehen, was sie waren, aber ohne genaue Kenntnisse der Verhältnisse und ohne echtem Plan, was nach der militärischen Intervention geschehen sollte, konnte die Einmischung der USA und Europas nur in ein Desaster führen. Die damals als naiv beschimpften „Gutmenschen“ haben Recht behalten. Dennoch sind sie bereit, das auszubaden, was durch die Durchsetzung des Rechts der Stärkeren angerichtet wurde. Sie stabilisieren  den sozialen Frieden dort, wo die Menschen aus zerstörten Ländern Zuflucht suchen und werden von einfältigen Law and Order-Typen auch noch verhöhnt.

Sorge für Flüchtlinge

Engagierte Frauen und Männer haben seit 2015 und auch schon vorher viel dafür getan, dass Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten aus den von den USA und Europa mit verschuldeten Krisenregionen dieser Erde in unserer Gesellschaft Fuß fassen und in der Folge auch einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten können. Ehrenamtliche Deutschkurse, Begleitung minderjähriger Flüchtlinge, Sorge für die Gestaltung des Alltags für Familien, Unterstützung bei immer schwieriger werdenden Amtswegen, Aufnahme in den eigenen Familien und zur Verfügung stellen von Wohnmöglichkeiten, Lehrlingsausbildung und vieles mehr wird von wahrscheinlich hunderttausenden Österreicherinnen und Österreichern geleistet, unauffällig, effizient und effektiv.

… statt ängstlicher Realpolitik

Hingegen träumen ängstliche Realpolitiker und leider auch Politikerinnen davon, die Einwanderung der letzten Jahre rückgängig zu machen. Sie wollen in Zukunft Flüchtlinge gar nicht nach Europa lassen und diskriminieren Menschen, die nichts anderes als überleben wollen zu „Wirtschaftsflüchtlingen“.  Sie schüren mit ihrem Verhalten die Angst der Bürgerinnen und Bürgern vor einer ungewissen Zukunft – als ob Zukunft nicht immer ungewiss wäre. Was sie nicht sagen ist, dass das Dichtmachen an unseren Grenzen  nur unter Preisgabe unserer sogenannten „westlichen Werte“ möglich sein wird und auch dem Völkerrecht widerspricht. Aber durch die Verrohung der politischen Sprache und des politischen Handelns, wo nur mehr das Recht des Stärkeren gilt, scheinen diese Werte den meisten sowieso bedeutungslos geworden zu sein.

Neuer eiserner Vorhang

Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es in unserem Land aussehen würde, gäbe es nicht jene menschenfreundlichen und weltoffenen Frauen und Männer, für die Begegnung mit anderen Kulturen immer auch eine Bereicherung bedeutet, die, ohne die Schwierigkeiten klein zu reden, dort anpacken, wo sie gebraucht werden, die Begegnungen organisieren und Beziehungen aufbauen, die sich zugegebenermaßen auch schwierig gestalten können. Das alles ist aber längst nicht so schwierig wie Mauern zu bauen und aus paranoider Angst  vor „Überfremdung“ sich immer mehr Schikanen für Menschen auszudenken, die nichts anderes als überleben wollen. Wer sind hier die Realisten? Doch sicher nicht jene, die von einer Welt träumen, wo der eiserne Vorhang die Menschen aus dem Osten abhielt zu uns zu kommen und Afrika ein ferner Kontinent war.

Gerade jene, die die Globalisierung als alternativlos bezeichnen, die die freie Telekommunikation und Wegwerf-T-Shirtimporte preisen, die vom freien Finanzmarkt profitieren und die Dienstleistungen von Pflege- Putz- und Kinderbetreuungspersonal aus eben diesen Ländern gerne in Anspruch nehmen, gerade diese Menschen glauben, dass der freie Personenverkehr vollkommen eingeschränkt werden kann? Wie naiv ist es, zu glauben, dass das ohne den massiven Einsatz gewaltsamer Mittel möglich sein wird? Und glauben all jene, die die rohe und seelenlose Politik der derzeitigen Regierung unterstützen, dass wir dann noch eine aufgeklärte, humanistisch gesinnte Gesellschaft sein können?

Exportweltmeister mit Pflegenotstand

Deutschland bezeichnet sich gerne als „Exportweltmeister“ und gilt mit seiner Politik als Vorbild für Österreich. Staatsschuldensenkung ist das allererste anzustrebende wirtschaftspolitische Ziel. Dabei wird von den naiven Realisten aber zumeist übersehen, dass wenn exportiert wird, irgendjemand diese Waren auch importieren muss. Die einfache Rechnung, dass die Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands gleichzeitig auch die Verschuldung der südlichen EU-Länder bedeuten könnte, wird nicht angestellt.

Der deutsche Exportboom und die Schuldensenkung sind durch Lohnzurückhaltung und Investitionsbremse im eigenen Land mit bedingt. Wir wollen zwar Deutschlands Budget-  und Handelsbilanzüberschüsse, aber übersehen zu gerne den deutschen Pflegenotstand, den schlechten Zustand des Bahn- und Straßennetzes, der Schulen usw. Eine Folge dessen ist auch das Erstarken rechtsextremer Strömungen, die für die sozial Abgehängten eine Alternative zu sein scheinen. Stärkung der eigenen Bevölkerung und der Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen und Sozialleistungen wird von den realistischen „Gutmenschen“ gefordert, um dem entgegen zu wirken. das scheint aber bei den naiven Realisten nicht durchsetzbar zu sein.

Wie naiv darf ein Finanzminister sein?

Die Schere zwischen den Vermögenden und dem Rest der Bevölkerung wird weltweit immer größer. Wir können an verschiedenen Ländern mit großen sozialen Unterschieden sehen, was das für Folgen hat.  Das Geld, das diese Länder bei der Umverteilung und bei sozialen Leistungen einsparen, wird für Gefängnisse und rigorose und oft auch gewalttätige Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben. Deshalb schlagen realistische „Gutmenschen“ in Österreich eine Erbschafts- und Schenkungssteuer ab einer Erbschaft oder Schenkung von 1.000.000 Euro vor.

Der österreichische Finanzminister sagte dazu allen Ernstes in einem Zeitungsinterview, dass er gegen eine Erbschafts- und Schenkungssteuer sei, weil diese Erbschaften und Schenkungen ja schon einmal versteuert wurden und nicht noch einmal dafür bezahlt werden soll. Okay, aber dann dürfte es auch keine Mehrwertsteuer geben, denn die wird ebenfalls mit versteuertem Geld bezahlt. Diese Steuer zu erlassen, gedenkt aber nicht einmal unser Finanzminister, stellt sie doch die größte einzelne Steuereinnahme des Staates dar und sie wird auch von armen Menschen  bezahlt, die nicht einkommenssteuerpflichtig sind. Wie naiv darf ein Finanzminister sein?

Lebenswertes Österreich dank wacher Zivilgesellschaft

Zum Schluss noch ein Blick in die jüngere österreichische Geschichte: Ohne das Engagement vernünftiger „Gutmenschen“ würden wir heute in einem Land mit mindestens einem Atomkraftwerk leben und die Hainburger Au wäre wegen eines aufwändigen Wasserkraftwerks untergegangen.  Dass Österreich ein so lebenswertes Land ist, verdankt es sicher dem Fleiß und Können seiner Bevölkerung, aber auch einer wachen Zivilgesellschaft, die sich für den sozialen Frieden, ökonomisches Augenmaß und ökologische Verantwortung einsetzt  – also liebe Freundinnen und Freunde – mehr Selbstbewusstsein! Wir dürfen uns nicht an den Rand drängen lassen – wir sind die gute Mitte der Gesellschaft, ohne die gar nichts geht.

 

Zur Person:
Traude Novy ist in der Katholischen Frauenbewegung und bei WIDE aktiv, engagiert sich in der Arbeitsgruppe „Demokratie braucht Bildung“ und ist Obfrau des Vereins JOAN ROBINSON.
Blog: http://www.ka-wien.at/blog/b13
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